Rezension: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa | Benjamin Constable


Tomomi Ishikawa ist tot. Sie hat sich umgebracht, so steht es in dem Abschiedsbrief an ihren Freund Ben Constanze.
Doch Tomomi weigert sich hartnäckig, in Frieden zu ruhen. Stattdessen hinterlässt sie Ben eine Menge rätselhafte Botschaften, die ihn, ähnlich wie bei einer Schnitzeljagd, durch Paris, New York und Tomomis Vergangenheit führen.
Ben würde gerne glauben, dass es sich bloß um ein Spiel handelt, dass die Geschichten, die Tomomi ihm hinterlassen hat, nur Ausgeburt ihrer Fantasie sind, doch dann offenbaren sie ihm ein grausames Geheimnis.
War Tomomi Ishikawa in Wahrheit eine Serienmörderin? Und ist sie tatsächlich tot? Bald weiß Ben nicht mehr, was Fiktion und was Realität ist.

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Der 1968 in Bristol geborene Benjamin Constable ist nicht nur Autor dieses Buches, nein - er ist auch gleichzeitig der männliche Hautprotagonist! Allein dies fand ich schon äußerst interessant, als ich zum ersten mal auf dieses Buch aufmerksam wurde und ich besorgte mid die Leseprobe. Schon nach den ersten Seiten war klar: Dieses Buch muss ich unbedingt weiterlesen, hier wartet ein wahrer Schatz auf mich! Und ich irrte mich tatsächlich in keiner Weise.

Ben Constable und Tomomi Ishikawa sind gute Freunde, die gerne miteinander bei einem Bier oder auch mehr plaudern, fachsimpeln, philosophieren und versuchen, die Welt zu verstehen. Ben ist angehender Schriftsteller, nur die rechten Ideen sind Ihm noch nicht zugeflogen. Nur eine Idee beschäftigt ihn, er würde gerne eine Bauch über seine Gespräche mit Tomomi Ishikawa, die von den meisten nur Butterfly genannt wird, schreiben. Doch dann liegt da plötzlich ein Brief auf seinem Wohnungsboden, durchgeschoben durch die Türe. Ein Brief von Tomomi, ein Brief der alles verändert und der die Welt auf den Topf zu stellen vermag. Es ist zwanzig nach drei - wie immer auf der stehengebliebenen Uhr - und Tomomi Ishikawa teilt ihm ihren geplanten Selbstmord mit. Ein Selbstmord, der zur Zeit, als er diesen Brief liest, schon stattgefunden hat...

Mit diesem sprachlich schon schon sehr poetisch klingenden Brief beginnt für Ben Constable ein neuer Lebensabschnitt. Tomomi spricht in Rätseln, schwelgt in Erinnerungen und stellt ihn zuletzt vor eine große Aufgabe, die es zu lösen gilt. Ein Spiel, könnte man fast sagen ... oder besser noch: Butterfly hat sich eine Schnitzeljagd für Ben ausgedacht. Eine Schnitzeljagd, die Ben Tomomis Vergangenheit offenbaren soll, die ihm die Möglichkeit geben soll, sie nach ihrem Tode besser kennenzulernen und zu verstehen.

Tomomi Ishikawa ist ein nahezu unbeschreiblicher Charakter, ein Freigeist, eine Frau voller skurriler Ideen und Gedanken und doch voller Einfallsreichtum und auch in gewisser Weise voller innerer Stärke, auch wenn man dies auf den ersten Blick nicht wahrnehmen mag. Denn der Selbstmord spricht dagegen. Oder spricht er gerade deshalb dafür? Ben findet mit Tomomis äußerst skurrilen und doch unglaublich raffinierten Wegweisern versteckte Notizbücher, die jeweils einen Lebensabschnitt aus ihrer Vergangenheit preisgeben. Hier wurden Begebenheiten niedergeschrieben, die schockieren, wütend machen, traurig stimmen und doch faszinieren. Denn als Leser selbst steckt man mittlerweile in der großen Spirale der verworrenen Geschichte fest und es ein scheint fast unmöglich, Wahrheit von Lüge, Realität von Fiktion zu unterscheiden. Hat sie diese Dinge, die sie in den Notizbüchern verewigte, tatsächlich getan und erlebt oder führt sie Ben nur an der Nase herum und serviert ihm schlichtweg Lügen, eine gut inszinierte Story? Ben weiß es nicht - ich als Leser ebenfalls nicht.

Aber ich will es wissen! Ich will genau wie Ben mit aller Gewalt herausfinden, was in Butterfly vorging, was die tatsächliche Wahrheit ist, wie diese faszinierende Schnitzeljagd durch Paris und New York zuletzt zu Ende geht. Und so lese ich weiter, Seite für Seite, versinke in Straßen und Gärten New Yorks und kann nicht aufhören, mitzurätseln.

Tomomi Ishikawa ist eine sehr gute Beobachterin und liebt Paris, aber auch New York, wo sie aufgewachsen ist. Sie kennt sie schönsten Plätze, kleine Schätze der Natur, Oasen der Entspannung und Meditation, sieht die alltäglichen Dinge oft mit einem anderen Auge und schafft es, diese Eindrücke an Ben und somit auch an mich als Leser zu vermitteln. Die Umfeldbeschreibungen sind so detailreich und bildhaft beschrieben, dass ich mich fast selbst durch die Strassen wandern sah und Skulpturen, Gebäude und Gärten vor meinem inneren Auge bewunderte.

Mich begeisterte dies so sehr, dass ich während des Lesens dieses Buches die Website des Autoren besuchte und dort zu meiner großen Überraschung und Freude eine Bildergalerie zu vielen der im Buch erwähnten Orte vorfand. (* Siehe Link - http://benjamin-constable.net/Places.html ). Und als ich mir diese Bilder anschaute, stellte mich fest, dass ich mir aufgrund der tollen Beschreibungen mache dieser Orte genau so vorstellte, wie ich sie nun hier sah.

Die charakteristische Darstellung der Protagonisten ist faszinierend vielschichtig. Tomomi Ishikawa begeisterte und schockierte mich mich gleichermaßen. Die Art und Weise, wie sie ihren eigenen Tod inszenierte und scheinbar aus dem Jenseits Ben steuert und lenkt. Ich überlegte mir die ganze Zeit, was dies wohl für eine unglaubliche Planung gewesen sein muss. Oder bedurfte es gar keiner solchen Planung? Ging ich ihr womöglich doch auf den Leim? Dachte sich Ben womöglich alles aus? Lebt Tomomi eventuell sogar noch? Und wer ist diese Beatrice, die seit New York immer an Bens Seite zu sein scheint, wirklich? Hat sie etwas damit zu tun? Kannte sie Butterfly? Fragen über Fragen über Fragen und doch so wenige Antworten.

Als kleines I-tüpfelchen in Sachen Irrealismus und Fiktion empfand ich Cat, Bens imaginäre Katze, die immer an seiner Seite auftauchte, wenn er mentale Unterstützung brauchte. Wenn Ben ein wenig entscheidungsunfreudig war, stupste Cat ihn auf den richtigen Weg, sie fungierte beinahe als sein siebter Sinn, nahm Dinge wahr, die seinem Auge entgingen. Aber sie erschien nie albern, ihr Vorhandensein passte einfach hervorragend.

An diesem Punkt beschließe ich nun, nicht weiter über die Geschichte und die Personen zu sprechen, denn die Story muss einfach selbst erlebt werden und es ist in der Tat gerade eine große Gratwanderung für mich, nicht zu viel zu verraten und somit die Spannung dieser ganz besondere Leseerfahrung zu rauben.

Mein persönliches Fazit

Benjamin Constables Roman hat mich wahrlich vollkommen gefesselt und in vielen Momenten positiv überrascht. Sein Schreib- und Erzählstil begeisterte mich geradezu. Ich liebe es, wenn Geschichten eine gewisse Skurrilität aufweisen und man als Leser gefordert ist herauszufinden, was denn nun Realität und was Fiktion ist. Diese ganze Story ist eine einzige Herausforderung und ich habe sie sehr gerne angenommen. Dieses Buch kann und sollte man auch nicht mal schnell nebenbei lesen. Nein, diesem Buch muss man Zeit geben, damit das Geschriebene auch richtig wirken kann, damit man sich auf die Geschehnisse einlassen kann. In dieser Geschichte steckt mehr Tiefgang, als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten möchte und doch beginnt man ganz unbewusst schon während des Lesens, sich über die Dinge wie Mord, Selbstmord, Sterbehilfe, Selbstfindung und Verlust seine ganz eigenen Gedanken zu machen. Tomomi Ishikawa animiert mit ihren Lebenserfahrungen, niedergeschrieben in den Notizbücher, sich damit auseinanderzusetzen.

Eine unkonventionelle, liebevoll inszinierte und doch  auch stellenweise düstere Geschichte, die clever gestrickt ist und den Leser mitnimmt auf eine faszinierend-skurrile Reise irgendwo zwischen Realität und Fiktion. Aber man muss sich definitiv darauf einlassen können, sich einfach in die Geschichte fallen lassen können.

© Rezension: 2013, Alexandra Zylenas 

[alexandra]

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