Rezension| Schöne Ruinen | Jess Walter


Der junge Pasquale kehrt nach dem Tod seines Vaters wieder in den verschlafenen und beinahe vergessenen italienischen Küstenort Porto Vergogna zurück, um das Hotel weiterzuführen, dass er geerbt hat. Er glaubt daran, dass eines Tages die Touristen aus Amerika kommen - und so versucht er mühsam, einen kleinen Strand an der schroffen Küste anzulegen und träumt davon, einen Tennisplatz auf einem Felsplateau zu bauen. Plötzlich taucht tatsächlich eine junge Amerikanerin, dazu noch Schauspielerin, in Porto Vergogna auf und Pasquale verliert prompt den Herz an sie
An dem Tag, als er die wunderschöne Amerikanerin zum ersten Mal erblickte, steckte Pasquale bis auf Brusthöhe in Tagträumen, die das schmuddelige kleine Porto Vergogna als aufstrebenden Urlaubsort und ihn selbst als eleganten Geschäftsmann darstellten, einen Mann von unbegrenzten Möglichkeiten zu Beginn einer glorreichen Moderne.
Seite 10

Doch mit der jungen Schauspielerin Dee Moray tauchen auch die Probleme auf, zuletzt sogar ihr Geliebter, niemand geringerer als Richard Burton! Das Erscheinen dieser Frau und vor allem die Dinge, die er über sie erfährt, lösen etwas aus in Pasquale und er trifft für sich eine wichtige, lebensbestimmende Entscheidung. Er geht und sieht Dee Moray  nicht wieder. Fünfzig Jahre später allerdings begibt er sich nach Amerika, um diese Schauspielerin wieder zu finden, zusammen mit einem abgebrühten Hollywood-Produzenten, dessen resignierter Assistentin und einem selbstverliebten Möchtegern-Drehbuchautor, der zufällig Italienisch kann. Fünfzig Jahre, in denen alle damals Beteiligten ihr Leben mit allen Höhen und Tiefen lebten - und deren Leben doch immerwährend auf die ein und andere Art miteinander verflochten war.

Meine Gedanken zu dem Buch:

Als ich von Jess Walter's Roman "Schöne Ruinen" las und hörte, wurde ich neugierig und beschäftigte mich mit der Leseprobe zu diesem Buch. Nur das Anlesen eben dieser reichte schon für die Entscheidung, dass ich dieses Buch unbedingt haben wollte. Wenn man sich das Cover anschaut, denkt man wahrscheinlich sofort an einen etwas schnulzigen Liebesroman. Es ist in der Tat ein Liebesroman, aber schnulzig ist er auf keinen Fall! Was auf dem Cover auf den ersten Blick so idyllisch und romantisch erscheint, stellt in der Tat den verschlafenen Ort Porto Vergogna ( übersetzt: Hafen der Schande) dar, der von Pasquale zwar schöngeredet wird, aber der - wenn er ganz ehrlich zu sich selbst ist - einsam, trostlos und von der Außenwelt vergessen ist. Des Öfteren blätterte ich bei diesen Beschreibungen zurück zum Cover und der erste Eindruck veränderte sich.

Doch zurück zum Geschehen: Jess Walter überzeugt mit einem absolut gelungenen und fesselnden Schreibstil. Das Geschehen wurde aus Sicht des allwissenden Erzählers geschrieben und so bekam ich einen sehr ausführlichen Einblick in die verschiedene Charaktere. Die Geschichte begann für mich im April 1962 in Porto Vergogna, doch schon ca 30 Seiten weiter befand ich mich plötzlich in der Gegenwart in Kalifornien, besser gesagt in Hollywood, nur um kurz darauf wieder im Italien zurückkatapultiert zu werden. Weitere Stationen zu verschiedensten Zeiten erwarteten mich - Rom, Florenz, La Spezia, Edinburgh in Schottland ... - nur um ein paar davon aufzuzählen. Aber es sind diese Zeitsprünge, die dieses Buch so besonders machen. Denn all diese verschiedenen Handlungen an diesen Orten von den verschiedenen Personen zu den verschiedensten Jahreszeiten laufen doch zuletzt zu einem großen Ganzen zusammen.

Diese Personen, die sich da mehr oder weniger flüchtig im Jahre 1962 in Port Vergogna trafen - diese Personen sind durch scheinbar unsichtbare Bande ihr Leben lang miteinander verbunden. Hollywood mit seinem berauschenden Leinwandleben und seinen exzentrischen Schauspielern und Regisseuren sind ein ganz großes Thema dieses Buches. Hochfliegende Träume und tiefe Abgründe beherrschen diese Stadt und Jess Walters schaffte es hervorragend, mir als Leser einen Einblick hinter die Kulissen zu verschaffen, der mit herrlichem Zynismus und einer großen Portion Ironie durchzogen ist.
Mein eigentlicher Lohn waren nicht Ruhm und Geld, die sich bald einstellten. Die Frauen, das Koks oder einen Tisch in jedem beliebigen Restaurant der Stadt.
Nein, mein Lohn war eine Vision, die meine Karriere prägen sollte:
         Wir wollen, was wir wollen. Seite 336, Michael Deane, Hollywood

 Film und Theater, aber auch die Literatur und die Musik werden vom Autor gekonnt aufgegriffen und verarbeitet. Diese vier grossen "Medien" überdauern die Zeit, die sich sonst doch so schnell verändert. Viel Neues kommt und geht über die Jahrzehnte, aber diese vier menschenverbindenden Medien Film, Musik, Theater und Literatur bleiben die ganze Zeit über bestehen. Und vielleicht sind genau das die unsichtbaren Bande, die die Protagonisten über solche Distanzen, über so viele Jahre ebenfalls miteinander verbindet. Eine junge Schauspielerin, ein etwas durchgeknallter Regisseur und seine resignierte Assistentin, ein ambitionierter Drehbuchautor, der sein Werk pitchen möchte, ein Schriftsteller mit nur einem "unfertigen" Werk, ein scheiternder Musiker, eine junge Frau, die Theaterstücke schreibt ... Kunst in jeglicher Form verbindet ...

"Geschichten sind Menschen. Ich bin eine Geschichte, du bist eine Geschichte... dein Vater auch. Unsere Geschichten verzweigen sich in alle Richtungen, doch manchmal, wenn wir Glück haben, fügen sie sich für eine Weile zu einer zusammen, dann sind wir weniger allein.
Seite 88

Kurz & gut - mein persönliches Fazit

Jess Walter hat mich mit "Schöne Ruinen" vollkommen überzeugt. Dieser inhaltlich wunderbar ausgearbeitete Roman mit seinen facettenreichen Charakteren und genauen Umfeldbeschreibungen, seinen immer wiederkehrenden Zeitsprüngen sprüht nur so voller Witz und unterschwelligem Zynismus. Und doch kommt auch die Liebesgeschichte nicht zu kurz, die auf ihre ganz besondere Art etwas sehr Ergreifendes hat. Ein toller Flair und eine große Portion "Dolce Vita" laden auf eine ganz besondere literarische Reise ein, die eine Zeitspanne von über fünfzig Jahren umfasst. Sehr lesenswert - sehr empfehlenswert!

© Rezension: Alexandra Zylenas

[alexandra]

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